Das Forum kritischer Wissenschaften (FkW) ist ein status- und fachbereichs-übergreifender Verein, der sich für die Verstetigung kritischer Forschung und Lehre an der Universität Frankfurt und die Förderung studentischer Initiativen einsetzt. Der Verein versteht sich als hochschulpolitisches Forum, das einen Austausch darüber ermöglichen soll, was es hier in Frankfurt heißen kann, kritische Wissenschaft zu praktizieren. Hierzu unterstützt das FkW die fachbereichs-übergreifende Vernetzung & Organisation gemeinsamer Veranstaltungen. // Kontakt: info@forumkw.de // Aktuelle Infos unter: twitter.com/fkwforum facebook.com/fkwissenschaften youtube.com/@fkwfrankfurt
Buchvorstellung & Diskussion mit der Herausgeberin Friederike Beier & Franziska Haug Freitag, 12. Januar 2024 19:00 Uhr, Café KoZ (Mertonstraße 26 – 28, 60325 Frankfurt am Main)
Die beiden geben eine Einführung in die Theorien des materialistischen Queerfeminismus und stellen ihre Beiträge aus dem gerade erschienenen Sammelband vor. Im Anschluss werden politische Perspektiven einer nicht-heteronormativen, sondern sorgezentrierten Gesellschaft vorgestellt und diskutiert.
*UPDATE: der Vortrag von Jenny Nachtigall am 27. Juni muss leider entfallen* Leider wird der Vortrag von Jenny Nachtigall „Form, Eigentum und der eigenwillige Vitalismus einer materialistischen Ästhetik“, der für kommenden Donnerstag (27.06.24) angesetzt war, nicht wie geplant stattfinden können. Ihr erfahrt hier und über unsere Social Media-Kanäle, falls der Vortrag in einem anderen Setting nachgeholt werden kann.
Das Bewusstsein davon, dass wir mit der durch die kapitalistische Verwertungslogik produzierten Klimakatastrophe in das Zeitalter des Kapitalozäns eingetreten sind, hat sich auch in der Kunst niedergeschlagen. Konkret zeigt sich dies mit Blick auf die kritische Verhandlung der Auffassung davon, was gewöhnlich in dem Begriff der ›Vermittlung von Geist und Natur‹ zum Ausdruck kommt. Was kann – und mitunter muss – in einer ästhetischen Erfahrung heute erschlossen werden? Die Vortragsreihe wird diesen Zugang mithilfe verschiedener Ansätze gegenwärtiger Ästhetik kritisch befragen.
Denn mit dem Bewusstsein der vom Kapital gemachten Klimakatastrophe ist zwar auch die Möglichkeit gegeben, die Logik zerstörerischer Naturbeherrschung zu durchbrechen. »Angesichts solcher Möglichkeit aber«, mit den bekannten, die Theorie der Kulturindustrie einleitenden Worten von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer gesprochen, »wandelt im Dienst der Gegenwart Aufklärung sich zum totalen Betrug der Massen um.« Mit der Frage nach dem, was eine ästhetische Erfahrung im Kapitalozän zu erschließen fähig ist, wird die Vortragsreihe zugleich danach fragen, was sie zu verschließen fähig ist: Es sind die von der Ästhetik betrachteten Zugänge, in denen sich dieser Betrug vollziehen lässt.
Programm
[1] „Gemeinsinn: Kant über die Kunst des Gattungswesens“ | Vortrag von Thomas Khurana
Dienstag, 12.12.24 um 18 Uhr (c.t.)
Raum: Casino 1.812 (IG-Farben-Campus)
Moderation: Franziska Wildt
[2] „Darstellungen des Naturverhältnisses“ | Podium mit Juliane Rebentisch &Christoph Menke
Mittwoch, 17.01.24 um 18 Uhr (c.t.)
Raum: Casino 1.811 (IG-Farben-Campus)
Moderation: Nathan Taylor
[3] „Die Konzeption der Kulturindustrie in der frühen Kritischen Theorie: Grundlagen und Aktualität“ | Workshop mit Susanne Martin
Freitag, 02.02.24 von 12:00 – 16:00 Uhr
Raum: Sitzungssaal I – Institut für Sozialforschung (IfS)
Anmeldung unter: info@forumkw.de
[4] „Zur Politischen Ökonomie der Medien und Grundrisse einer Werttheorie der Kunst“ | Podium mit Isabelle Graw & Christian Fuchs
Donnerstag, 06.06.24 um 18 Uhr (c.t.)
Raum: PEG1G.191 (IG-Farben-Campus)
Moderation: Elias Schedler
[5] „Form, Eigentum und der eigenwillige Vitalismus einer materialistischen Ästhetik“ | Vortrag von Jenny Nachtigall
Mit einer Response von Simon Gurisch
Donnerstag, 27.06.24 um 18 Uhr (c.t.)
Raum: PEG1G.191 (IG-Farben-Campus)
Moderation: Nils Fock
[1] Thomas Khurana: »Gemeinsinn: Kant über die Kunst des Gattungswesens«
In »Gemeinsinn: Kant über die Kunst des Gattungswesens« wird Thomas Khurana der Vermittlung von Geist und Natur in der ästhetischen Erfahrung und dem aus ihr resultierenden ästhetischen Urteil nachgehen. In seiner dritten Kritik entwickelt Kant Überlegungen zu einer durch Kunst hervorgebrachten Natur, die sich dadurch auszeichnet, geistig hervorgebracht zu sein und zugleich die Erfahrung einer anderen Natur zu ermöglichen, die das Begriffsvermögen überschreitet. Kants Bestimmung des ästhetischen Urteils zeigt so ein Verhältnis des Geistes zu sich selbst, zur Natur und einer Form der Sozialität auf, das im Begriff des Gattungswesens zusammenläuft, den Khurana bisher bei Marx und Hegel verfolgt hat. Denn dieser Begriff zeichnet sich zum einen durch seine die anthropozentrische Sichtweise transzendierende Offenheit gegenüber der natürlichen Existenz des Geistes aus und wird zum anderen auch von Marx mit der Fähigkeit zu ästhetischen Urteilen erläutert. Im Vortrag wird diese Idee nun an Kant selbst nachvollzogen und verhandelt, inwieweit der Begriff des Gattungswesens im Lichte aktueller Diagnosen des Kapitalozäns als eine von diesem Gattungswesen wesentlich entfremdete Gegenwart zu reformulieren wäre.
[2] Juliane Rebentisch und Christoph Menke im Gespräch mit Nathan Taylor: »Darstellungen des Naturverhältnisses«
Mit dem Begriff des Kapitalozäns geht gemeinhin ein Urteil des Scheiterns der herrschenden Vermittlungslogik von Geist und Natur einher. Dieses stellt somit auch bisherige Bestimmungen des Naturverhältnisses grundlegend infrage.
Seit der Moderne wird das Naturverhältnis in der philosophischen Ästhetik häufig in den Begriffen des ›Naturschönen‹ und des ›Erhabenen‹ verhandelt. Ersterer bringt ein harmonisches Zusammenspiel von Geist und Natur innerhalb ihrer bestehenden Vermittlung zur Sprache. Letzterer hingegen will deren Disharmonie als Erfahrung einer vermeintlichen Überlegenheit des Geistes gegenüber der Natur begreifen.
Wenn die herrschende Vermittlungslogik von Geist und Natur – und mit ihr die Bestimmungen des Naturschönen und des Erhabenen – im Kapitalozän nun problematisch werden, so muss das Naturverhältnis auf eine aus jenen klassischen Kategorien hinausführende Weise neu gedacht werden. Diese grundlegende Aufgabe teilt sich die philosophische Ästhetik mit anderen Disziplinen. Doch nimmt nur sie dabei ausdrücklich und primär zum Gegenstand, was in bestimmten Naturverhältnissen wie zur Darstellung kommt. Damit ist sie entscheidend an der Herausbildung einer anderen Auffassung und Erfahrung von Natur beteiligt.
Die zweite Veranstaltung unserer Reihe »Ästhetik.Kultur.Kritik. Ästhetische Erfahrung im Kapitalozän« thematisiert »Darstellungen des Naturverhältnisses«, in welchen die Mensch-Tier-Beziehung zum Ausdruck kommt. Juliane Rebentisch und Christoph Menke sprechen über Perspektiven, Natur jenseits ihrer gewöhnlichen Entgegensetzung zum Geist zu denken, die sich in der Betrachtung bestimmter Darstellungen des Tierischen durch den Menschen eröffnen – und darüber, warum die Künste hierfür unverzichtbar sind.
[3] Susanne Martin: »Die Konzeption der Kulturindustrie in der frühen Kritischen Theorie: Grundlagen und Aktualität«
Unter dem Begriff ›Kulturindustrie‹ haben Horkheimer und Adorno die Kommodifizierung der Produktion und Rezeption kultureller Erzeugnisse analysiert. Ihre Kritik richtete sich dabei gegen die integrative Kraft der Kulturindustrie, durch die die Subjekte im Zuge des Konsums in die gesellschaftliche Ordnung eingegliedert werden. In diesem Licht entpuppt sich die Kulturindustrie als ein vorrangiger Bereich der ideologischen Herrschaftsstabilisierung im Spätkapitalismus.
Wie wird dieser Befund begründet und welche Relevanz hat er heute angesichts eines weitreichend veränderten kulturellen Angebots und Konsums? Um diese übergeordneten Fragen des Workshops zu beantworten, werden wir in einem ersten Schritt zentrale Argumentationslinien des Kapitels »Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug« der Dialektik der Aufklärung rekonstruieren. In einem zweiten Schritt soll anhand selbstgewählter Gegenwartsphänomene die Aktualität der Kulturindustriekritik ausgelotet werden. Basis bilden die Diskussion einschlägiger Textpassagen sowie Inputs zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Theorie. Das abschließende Ziel des Workshops ist es, Überlegungen zu einer zeitgemäßen Kulturkritik im Anschluss an die frühe Kritische Theorie anzustellen.
Textgrundlage: Horkheimer, Max & Adorno, Theodor W. (1944), Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug, in: Max Horkheimer Gesammelte Schriften Bd. 5: Dialektik der Aufklärung und Schriften 1940 – 1950, hg. v. Gunzelin Schmid Noerr, Frankfurt 1987: Fischer, 144 – 196.
Um Anmeldung wird gebeten unter: info@forumkw.de (wir schicken dann gerne eine PDF-Version des Kapitels zum Einlesen zu).
[4] „Zur Politischen Ökonomie der Medien und Grundrisse einer Werttheorie der Kunst“ | Podium mit Isabelle Graw & Christian Fuchs
Donnerstag, 06.06.24 um 18 Uhr (c.t.)
Raum: PEG1G.191 (IG-Farben-Campus)
Moderation: Elias Schedler
In Gestalt einer digitalen Klassengesellschaft, veränderter Mechanismen von Herrschaft und neuer Formen entfremdeter Arbeit kehren im Zeichen des Digitalen etablierte Antagonismen des Kapitalismus wieder. Um diese Phänomene und Entwicklungen unserer Gegenwart genauer zu verstehen, untersucht Christian Fuchs in seinem Vortrag einige Grundlagen der Kritik der Politischen Ökonomie des digitalen Kapitalismus. Exemplarisch wird er dabei auf Konzepte von Karl Marx und Theodor W. Adorno eingehen und nach deren Relevanz für eine Gegenwartsanalyse des digitalen Kapitalismus fragen.
Im zweiten Teil wird Isabelle Graw ihre an Marx angelehnten werttheoretischen Überlegungen zur zeitgenössischen Kunst präsentieren. Sie knüpft damit an die ästhetische Beobachtung an, wonach die bürgerliche Kunst seit jeher durch den Umstand bestimmt ist, Ware zu sein und zugleich diesen Warencharakter durch künstlerische Autonomie zu negieren. Nach Marx beruht der Wert der gewöhnlichen Ware auf konkreter Arbeit, abstrahiert jedoch zugleich von dieser Arbeit. In der Analyse künstlerischer Produktionsprozesse geht Graw der Frage nach der spezifischen Vergegenständlichung künstlerischer Arbeit am Beispiel von Piero Manzoni und Robert Morris nach. Diese verhandeln ihre eigene Wertform, indem sie das fertige Produkt und seinen Herstellungsprozess in Kopräsenz ausstellen.
[5] „Form, Eigentum und der eigenwillige Vitalismus einer materialistischen Ästhetik“ | Vortrag von Jenny Nachtigall
Mit einer Response von Simon Gurisch
Donnerstag, 27.06.24 um 18 Uhr (c.t.)
Raum: PEG1G.191 (IG-Farben-Campus)
Moderation: Nils Fock
Mit dem Ziel einer Historisierung aktueller Debatten um Kunst und Eigentum werden in »Form, Eigentum und der eigenwillige Vitalismus einer materialistischen Ästhetik« verschiedene materialistische Gegenmodelle zum possessiven Formalismus der Kunstgeschichte vorgestellt. Gemeinsam ist diesen Modellen zwar eine Orientierung an Fragen des Lebens und des Lebendigen. Daraus folgt jedoch nicht, dass der Kunst eine ontologische Alterität oder Vitalität zugeschrieben wird. Diese ›andere Tradition‹ fasst Jenny Nachtigall als Ansatz eines eigenwilligen Vitalismus (›wayward vitalism‹).
›wayward vitalism‹ soll damit nicht als ein fixer Begriff festgeschrieben werden. Vielmehr soll er in seiner Vorläufigkeit dabei helfen, ein ästhetisches Verhältnis zum Leben ins Spiel bringen, das jenseits der (bis heute von Kunstgeschichte und dem Museum aufrechterhaltenden) Grenzziehungen der Moderne, Formen von Gemeinschaftlichkeit, kollektiven Machens/Nichtmachens, oder des Protests umfassen kann. Was wird erzählbar, wenn wir diese ›andere Tradition‹ in den Blick nehmen – und was fehlt?
Aktuell bereiten wir die Durchführung einer Veranstaltungsreihe zu Ästhetik und Kulturindustrie vor. Die Reihe soll im Dezember dieses Jahres (2023) beginnen und vier Veranstaltungen umfassen. Konkrete Ankündigungen zu den Veranstaltungen werden wir rechtzeitig hier und über unsere Facebook-Seite und twitter bekannt geben. Wir freuen uns auf interessante Abende mit euch!
Mittwoch, 19.04.2023 um 18 Uhr (c.t.) Casino 1.811 (IG-Farben-Campus) Moderation: Christina Engelmann und André Möller
Die Aufzeichnung zur Veranstaltung findet Ihr auf unserem YouTube-Kanal!
In seinem neuen Buch „Theorie der Befreiung“ setzt Christoph Menke bei der geschichtlichen Diagnose an, dass alle ökonomischen und politischen Befreiungsversuche gescheitert sind. Ausgehend von der griechischen Freiheit – die programmatisch in Abgrenzung zum unfreien Zustand der Sklaverei definiert ist und unsere westlichen Freiheitsvorstellungen nach wie vor in ihrer Widersprüchlichkeit prägt – zeigt sich, dass der Kampf für Freiheit immer wieder in einen Legitimationsdiskurs für Herrschaft umschlägt: bis heute enden die Befreiungsversuche in immer neuen Abhängigkeitsordnungen und Formen der Herrschaft.
Von dieser Analyse ausgehend bestimmt Menke Freiheit als Prozess der Befreiung von sich selbst: Die Art und Weise, wie das autonome Subjekt sein Können bildet, beruht demnach selbst auf Prozessen der Gewöhnung, die zutiefst unfrei sind. Befreiung setzt daher bei einer Erfahrung an, die wir nicht vermögend vollziehen, sondern die uns geschieht und dadurch unversehens aus der knechtenden Gewohnheit reißt. Sie beginnt mit der Faszination. Dies veranschaulicht Menke an zwei exemplarischen Befreiungsnarrativen: am liberalen, ökonomischen Freiheitskonzept und der religiösen Befreiung. An ihnen zeigt sich aber auch, dass die Abschaffung der durch die Identität der Gewohnheit bedingten Knechtschaft trotz ihres anfänglichen emanzipatorischen Gehalts immer an und im Sozialen scheitert.
Der Befreiungsprozess darf daher bei ihnen nicht stehenbleiben. Aber durch ihr Scheitern lässt sich die Befreiung noch besser verstehen: Aus dem Scheitern der ökonomischen und der religiösen Befreiung lässt sich ein Begriff radikaler Befreiung gewinnen. Diese radikale Form der Befreiung geht aus von einer faszinierenden (ästhetischen) Erfahrung, die uns hinter die Ebene sicherer Urteile zurückwirft und darin neu bestimmbar macht. Sie gilt es zu bejahen, um in die (politische) Praxis der Befreiung einzutreten.
Wir sprechen mit Christoph Menke über den internen Zusammenhang von Freiheit und Herrschaft, die in diesem Widerspruch gründenden Befreiungsmodelle und was das mit Kritischer Theorie, der Oktoberrevolution und Ästhetik zu tun hat.
[2] Sophie Lewis: „Abolish the family. A Manifesto for Care and Liberation“
Donnerstag, 27.04.2023 um 19:00 Uhr (s.t.) Moderation: Sarah Mühlbacher Institut für Sozialforschung (IfS, Sitzungsraum I) und per Zoom Anmeldung bis 16.04.2023 unter: info@forumkw.de
Die Familie abschaffen – in ihrem aktuellen Manifest fordert Sophie Lewis, Care-Arbeit und Verwandtschaft neuzuerfinden. Lewis stellt dabei die scheinbare Selbstverständlichkeit, dass die Familie Ort von Stabilität und Glück ist, infrage. Vielmehr sieht sie Familie als eine Notlösung, deren verbindende Einheit uns zwar im besten Fall vor Schlimmerem bewahrt, sich aber auch erst durch die Tatsache strukturell gewaltvoller und unterdrückender Verhältnisse rechtfertigen kann. Letzten Endes ist ‚Blut ist dicker als Wasser‘ nämlich eine trennende und keine vereinende Maxime. Die Frage, die sie damit aufwirft, lautet: Was würde es heißen, die Familie nicht mehr zu brauchen?
Sophie Lewis zeichnet hierzu einen Bogen familien-abolitionistischer Ideen von Utopisten des 18. Jh., vorkolonialen Gesellschaften und sozialistischen Ansätze bis hin zu zeitgenössischen queeren Emanzipationsbewegungen nach. Die Vision von Abolish the Family bleibt dabei, die „disziplinierende, knappheitsbasierte Trauma-Maschine“ Familie zugunsten „eines Reichtums (…), den wir noch nie gekannt haben und erst strukturieren müssen“, aufzugeben.
[3] Marina Martinez Mateo: „Critical Philosophy of Race“
Worum handelt es sich bei Race und welche Rolle spielen unsere Wahrnehmung und unser Wissen bei ihrer Konstruktion? Oder was ist Rassismus? Diese Fragen beschäftigen den Reader Critical Philosophy of Race, den Mitherausgeberin Marina Martinez Mateo im Gespräch mit Francesca Raimondi am 07.06.2023 vorstellen wird.
Das Forschungsfeld der Critical Philosophy of Race ist in den letzten drei Jahrzehnten im US-amerikanischen Raum entstanden und steht in direkter Tradition der kritischen Theorie. Sie hat Überschneidungspunkte mit den Critical Legal Studies und der Critical Race Theory. Im Rahmen der gesellschaftlichen Diskussionen um Rassismus adressiert sie Probleme der sozialen und historischen Konstruktion von Race, sowie der strukturellen und systemischen Natur von rassistischer Kultur und Gesellschaft.
Dabei wird Race als Kategorie gefasst, welche nicht materiell, sondern performativ in der Gesellschaft entsteht und soziale sowie politische Verhältnisse expliziert. Dabei ist der englische Begriff Race nicht gleichzusetzten mit ›Rasse‹. Entgegen der eindeutig rassistischen Verwendung des Begriffes Rasse, ist Race im Kontext von Aneignung und sozialkonstruktivistischer Umdeutung zu sehen und somit auch von emanzipatorischer Natur. Der von Kristina Lepold und Marina Martinez Mateo herausgegebene Reader nähert sich dieser, auch im Rahmen von #Blacklivesmatter immer relevanter werdenden philosophischen Betrachtung, unter drei Gesichtspunkten, die systematisch in die Thematik einführen: Metaphysik, Epistemologie und Ethik und Politik.
Reihe mit Workshops und Vorträgen | Februar – Juli 2022
Alle Vorträge der Reihe findet ihr zum Nachschauen auf unserem Youtube-Kanal.
Die Veranstaltungsreihe hat anhand zeitgenössischer Ansätze die Frage verhandelt, was eine materialistisch-feministische Perspektive zur Erschließung der Gegenwart beitragen kann und weshalb sie dennoch in der gegenwärtigen Geschlechterforschung kaum vertreten scheint. Die Referentinnen haben aus unterschiedlichen Perspektiven exemplarische Einblicke in ihre empirische Forschung und Theoriearbeit gegeben, um einen Austausch über aktuelle Analysen und Interventionen zu öffnen.
Wie können materialistisch-feministische Forschungspraxen heute konkret aussehen und wie lassen sich in ihnen Modelle emanzipatorischer Veränderung theoretisch verankern?
Gemeinsam mit Kitchen Politics und Lou Zucker haben wir zudem getrennte Workshops zur intensiveren Auseinandersetzung mit Clara Zetkin und Alexandra Kollontai durchgeführt, die den Kampf für die Befreiung der Frau konsequent internationalistisch als gemeinsamen Kampf aller Arbeiter:innen gegen die bestehenden ökonomischen und sozialen Herrschaftsverhältnisse dachten – und damit erste Grundrisse eines Materialistischen Feminismus begründeten.
Im Zentrum feministischer Materialismen steht die Frage, wie die kapitalistische Wirtschaftsweise soziale Verhältnisse formt, unter denen Menschen bezüglich ihrer Arbeitsteilung – und der auf sie ausgerichteten Geschlechterbeziehungen – immer wieder aufs Neue in Konflikte geraten. Auch wenn Menschen für ihr Zusammenleben zunehmend veränderte Formen wählen, zeigt unter anderem die anhaltende Diskussion um das sogenannte „Vereinbarkeitsdilemma“, dass die Verwertungslogik des Kapitals tief in lebensweltliche Entscheidungen und Sozialverhältnisse hineinwirkt, ihnen aus einer materialistischen Perspektive gar eigen erscheint. Offensichtlich hängt die anhaltend vorherrschende Geschlechterordnung mit der Strukturlogik des Kapitals zusammen. Denn es wird wohl kaum Zufall sein, dass gerade jene Tätigkeiten mehrheitlich von Frauen verrichtet werden, die innerhalb der herrschenden Wirtschaftsordnung in den privaten Bereich verlagert sind. Hier zeigt sich auch in Mitteleuropa eine beeindruckende historische Kontinuität, die sich in ähnlicher Weise in allen sozialen Milieus feststellen lässt. Aus dieser Perspektive lässt sich in aktuellen Debatten eine seltsam anmutende Frontstellung beobachten: Auf der einen Seite liberale Feminismen, die durch ihre Verleugnung notwendiger Fürsorge weibliche „Freiheit“ zu demonstrieren versuchen. Auf der anderen Seite konservative Feminismen, die für eine Aufwertung eben dieser Fürsorge kämpfen, teils getragen von Essentialisierungsphantasien. Inwie-fern verdeutlicht dies, dass eine Emanzipation unter den Vorzeichen der kapitalistischen Wirtschafts-weise zumindest eine ganz besonders große Herausforderung darzustellen scheint?
Weil Freiheit erst dann entsteht, wenn Menschen verbindliche Fürsorgeverantwortung füreinander übernehmen, möchten wir gemeinsam mit Lisa Yashodhara Haller einen gesellschaftskritischen Blick auf die Vermittlungszusammenhänge zwischen Staat, Geschlecht und Kapital werfen. In ihrem Vortrag wird sie diese Zusammenhänge verdeutlichen und aufzeigen, wie die Bearbeitung des kapitalistischen Struk-turproblems durch den Staat erfolgt, der dieses seinerseits nicht löst, sondern mittels staatlicher Steue-rungsinstrumente in den Bereich der vermeintlich privaten Paarbeziehung verlagert.
[ 2 ] Alte und neue materialistische Feminismen: Abgrenzungen und Kontinuitäten
Anastassija Kostan & Luki Schmitz im Gespräch mit Francesca Raimondi _________________
Die Begriffe ‚alt‘ und ‚neu‘ legen eine zeitliche Abfolge feministischer Materialismen nahe, bei der letztere erstere ablösen. Gegenüber dieser gängigen Lesart werden Anastassija Kostan und Luki Schmitz im Gespräch mit Francesca Raimondi aufzeigen, inwiefern die ‚neuen‘ materialistischen Feminismen die ‚alten‘ keinesfalls ersetzt oder unbrauchbar gemacht haben. Vielmehr lassen sich Verschiebungen hinsichtlich der jeweiligen Perspektiven feministischer Materialismen in Folge wissenschaftlicher Turns und Binnen-Kritiken beobachten: Ende der 1960iger Jahre und im Zuge der zweiten Frauenbewegung adressierten materialistische Feminismen die Bedeutung von unbezahlter, unsichtbarer und strukturell abgewerteter Haus- und Fürsorgearbeit. Es galt, diese meistens von Frauen* geleistete „Reproduktionsarbeit“ als für die kapitalistische Produktion und Mehrwertbildung unabdingbar kenntlich zu machen. Nebst der Kritik an der Ausbeutung ‚sekundärer‘ Arbeitskraft, wurden ideologisch-biologistische Denkweisen zwar hinterfragt, teils jedoch durch entsprechende Debatten auch reproduziert. Daran anknüpfend mobilisieren die ‚neuen‘ materialistischen Feminismen eine veränderte Auffassung von Biologie und (körperlicher) Materialität: Sie adressieren spezifische Macht- und Dominanzverhältnisse als Ergebnis materiell-diskursiver Relationen, in denen sich Gesellschaftliches, Natürliches und Technisches dynamisch verschränken. Diese jüngeren materialistischen Feminismen dezentrieren menschliche Handlungsmacht vor dem Hintergrund verschiedenster materieller Voraussetzungen des Sozialen.
Was bedeutet es aber, dass dieses Soziale nunmehr als unhintergehbar und vom multiplen und sich überlappenden Zusammen-Wirken nichtmenschlicher Lebewesen, Dingen und Kräften angesehen wird? Inwieweit lässt das Spektrum feministischer Materialismen die ‚alten‘ und ‚neuen‘ Perspektiven als verschiedene Formen der Gegenwartskritik mit jeweils spezifischen Fokussierungen auf soziale und ökonomische Herrschaftsverhältnisse, Wissensformen und Epistemen hervortreten?
Im Rahmen der Veranstaltung werden Anastassija Kostan und Luki Schmitz einen schlaglichtartigen Überblick über einige Kernaspekte ‚alter‘ und ‚neuer‘ materialistischer Feminismen geben, die sie aktuell untersuchen. In einem gemeinsamen Gespräch mit Francesca Raimondi werden sie dann über Abgrenzungen, aber auch Kontinuitäten zwischen den älteren und jüngeren Theorieströmungen feministischer Materialismen diskutieren.
[ 3 ] Ökonomie. Subjektivierung. Geschlecht. Feministisch-materialistische Perspektiven in der empirischen Sozialforschung
Wir leben in Zeiten, in denen sich das, was man gemeinhin als kapitalistische Verwertungslogik begreift, nahezu vollständig verallgemeinert hat. Sie strukturiert viel mehr als nur die Erwerbssphäre, eine Grenzziehung zum Privaten ist oft schwer. Freundinnen, Familie, Politik und Arbeit bilden das moderne Konglomerat der Selbstverwirklichung und versprechen Glück – sofern wir es schaffen, alle Bereiche ausreichend zu bedienen, also effizient zu koordinieren und zu gestalten. Damit sind wir sehr beschäftigt und schimpfen gleichzeitig über unser Wirtschaftssystem, den Kapitalismus, der uns all das antut.
Die Kritik am Kapitalismus scheint zeitgemäß, sie ist alltäglich und allgemein akzeptiert. Wir kritisieren ihn beim Pizzaessen in der Mittagspause, wir lesen zwischendrin darüber in den Social Media, diskutieren abends beim Date oder morgens bei der Vorlesung an der Universität. Wie das Reden übers Wetter ist Kapitalismuskritik ein unverfängliches Gesprächsthema. Und wie das Wetter erscheint die kapitalistische Verwertungslogik als vernünftigstes Organisationsprinzip aller Lebensbereiche ohnehin unantastbar.
Je weniger aber die ökonomischen Verhältnisse gestaltbar erscheinen, desto wichtiger wird die Bestätigung der eigenen Handlungsfähigkeit im Angesicht der scheinbar überwältigenden Ohnmacht gegenüber den größeren Zusammenhängen. Materialistisch-feministische Perspektiven haben vor diesem Hintergrund in jüngerer Zeit in Theoriedebatten neue Aufmerksamkeit erfahren. In empirischer Sozialforschung sind sie allerdings weiterhin eher marginal.
Hier nehmen Lisa Yashodhara Haller und Sarah Speck den Ausgang für ihr Gespräch, in dem sie sich mit materialistischen Perspektiven der Gegenwart auseinandersetzen und Entwicklungen und Desiderate innerhalb der aktuellen Geschlechterforschung diskutieren. Ausgehend von ihren Studien nähern sie sich dabei der Frage, welche Dimensionen der empirischen Analyse eine materialistisch-feministische Perspektive umfasst, und verhandeln die Bedingungen der Möglichkeit gesellschaftlicher Emanzipation.
[ 4 ] Make feminism socialist again! Grundrisse eines Materialistischen Feminismus im Anschluss an Clara Zetkin
„Wir können Clara Zetkin als Vorbild nehmen, um uns gegen antifeministische Männer in unseren eigenen Reihen aufzulehnen, uns mit anderen Frauen zu verbünden, internationale feministische Bündnisse zu schmieden und Faschismus frühzeitig zu erkennen.“
(Lou Zucker in „Clara Zetkin – Eine rote Feministin“)
Feminismus ist heute so populär wie nie zuvor, doch dies hat bislang nur wenig dazu beigetragen, die Lebensverhältnisse von Frauen zu verbessern. So fügt sich der aktuelle feministische Trend nahezu reibungslos der kapitalistischen Verwertungslogik: gendergerechte Sprache dient Unternehmen als hippe Vermarktungsstrategie und in den Kaufhäusern werden „Power to the Girls“-Shirts als Ware feilgeboten – während die Arbeits- und Lebensbedingungen der allermeisten Arbeiterinnen weltweit nach wie vor erdrückend schlecht sind. Vor diesem Hintergrund werden wir zusammen mit der Journalistin und Aktivistin Lou Zucker eine der Vordenkerinnen und Vorkämpferinnen der Internationalen Frauenbewegung in den Blick nehmen, die die Freiheit der Frau bedingungslos an die Freiheit aller Ausgebeuteten knüpfte: die kommunistische Feministin Clara Zetkin (1857 – 1933).
Als revolutionäre Sozialistin und Kommunistin trat Clara Zetkin entschieden für die Gleichberechtigung von Frauen ein und initiierte gegen den Willen ihrer männlichen Genossen die Einführung des Internationalen Frauentages am 8. März. Den bürgerlichen Feministinnen hielt sie dabei entgegen, dass Emanzipation nur als gemeinsames Unterfangen aller Arbeiter:innen gegen kapitalistische Herrschaft erkämpft werden kann. Im Rahmen der Veranstaltung werden wir diskutieren, was Feminist:innen heute noch von Clara Zetkin lernen können. Zetkin steht zum einen für einen Feminismus, der die sozialen Verhältnisse in den Blick nimmt, durch die Frauen unterdrückt werden. In diesem Sinne ist ihre feministische Perspektive antikapitalistisch: sie impliziert eine Kritik an Strukturen, in denen Menschen nicht in freier Entscheidung über die Gestaltung ihres Zusammenlebens entscheiden können, sondern dies einigen wenigen Akteuren vorbehalten bleibt, die über die erforderliche soziale und ökonomische Machtposition verfügen. Die materialistisch-feministische Perspektive knüpft dabei an die konkreten Lebensverhältnisse der proletarischen Frauen an, nimmt ihre praktischen Probleme und materiellen Sorgen ernst und versucht, die Frauen auf diese Weise für den Kampf um ein besseres Leben für alle zu mobilisieren. Der Feminismus Zetkins ist aus diesem Grund darüber hinaus internationalistisch: Emanzipation von kapitalistischer Herrschaft kann demnach nur transnational in Form von solidarischen Kämpfen weltweit für ein System ohne Ausbeutung gelingen. Entsprechend hat sich Zetkin als Politikerin mit sozialistischen Frauen anderer Länder verbündet, um sich kollektiv für die Rechte der Frauen und gegen Krieg und Kolonialismus einzusetzen.
Im Workshop werden wir anhand von Reden und kürzeren Schriften Zetkins die Frage verhandeln, was eine materialistisch-feministische Perspektive auszeichnet und wie hier der Kampf für die Befreiung der Frau mit einer Kritik an kapitalistischer Vergesellschaftung zusammengedacht wird. Dabei werden wir uns näher ansehen, aus welcher Perspektive Zetkin die Frage der Frauenarbeit stellt: Ihr zufolge ist die Emanzipation von Frauen, ihre soziale und politische Gleichstellung, nur möglich, wenn diese auch ökonomisch unabhängig sind, was innerhalb der herrschenden Gesellschaftskonstellation in erster Linie durch die Lohnarbeit außerhalb der Familie ermöglicht wird. Gleichzeitig sieht Zetkin, dass sich die Frauen unter Bedingungen kapitalistischer Warenproduktion jedoch nur einer anderen Herrschaft – der des Kapitals – unterwerfen. In diesem Zusammenhang werden wir uns ansehen, wie die erhöhte Konkurrenz unter den Arbeiter:innen infolge der steigenden Berufstätigkeit von Frauen den Widerspruch im Interesse von Kapital und Arbeit auf Gegensätze zwischen den Interessen der Arbeiter und der Arbeiterinnen projiziert und so solidarische Kämpfe unterminiert werden.
Im zweiten Teil des Workshops werden wir das Verhältnis von proletarischem Feminismus und Anti-Kriegs-Aktivismus in den Blick nehmen. In Clara Zetkins politischem Wirken verbindet sich das Engagement für die ökonomische, soziale und politische Gleichstellung von Frauen mit einem entschiedenen Kampf gegen Faschismus und Krieg. Auf der Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen 1910 brachte sie nicht nur den Beschluss zur Einführung eines Internationalen Frauentags ein, sondern auf Ihre Initiative hin wurde auch eine Resolution zum Kampf der proletarischen Frauen um den Frieden verabschiedet. Und während nach und nach auch nahezu alle sozialdemokratischen Parteien Europas für den Ersten Weltkrieg stimmten, organisierte Clara Zetkin im März 1915 die erste „Internationale Frauenkonferenz für Frieden“ in Bern. Schon früh warnte sie vor dem Faschismus in Italien unter Mussolini und zeigte in ihrer Rede „Der Kampf gegen den Faschismus“ von 1923 auf, dass wir hier mit einem internationalen Problem konfrontiert werden, das sich nur durch eine Einheitsfront aller Werktätigen für den Frieden bekämpfen lässt.
Im Rahmen des Abendvortrags wird Lou Zucker ihren Band „Clara Zetkin – Eine rote Feministin“ vorstellen und dabei, unterstützt von einzelnen gelesenen Passagen, in Zetkins Leben einführen. Dieses war geprägt von chronischer Krankheit, Verlust und Arbeitssucht, aber auch von tiefen Freund:innenschaften, Reisen, sozialistischen Hauspartys und natürlich ihrem leidenschaftlichen Kampf für Sozialismus und Frauenbefreiung. Für eine Frau ihrer Zeit war es in jedem Fall mehr als untypisch. Darüber hinaus stellt Lou Zucker die Frage, was Feminismus heute von Clara Zetkin lernen kann und gibt dazu einen Überblick über zentrale Punkte ihres Denkens und Wirkens.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem DFG-Projekt „Clara Zetkins pädagogisches und bildungspolitisches Wirken in der Sowjetunion“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen statt.
[ 5 ] How to Organize Social Reproduction? Feminist Lessons from Alexandra Kollontai
10.06.2022 | Präsenz-Veranstaltung
I. Workshop: 14:00 – 17:30 (Anmeldung geschlossen)
mit Darja Klingenberg und Sarah Speck von und für Kitchen Politics.
Kristen R. Ghodsee Moderation: Franziska Haug
I. Workshop
Welche Rolle würde die Familie im Kommunismus haben, fragt Alexandra Kollontai in einem Aufsatz von 1917. Dieser und andere Texte der vor 150 Jahren geborenen Kollontai stehen in der Tradition materialistischer Utopien der feministischen Bewegungen des Anfangs des 20. Jahrhunderts. Diese setzten in ihren radikalen und zugleich sehr pragmatischen Entwürfen vor allem an der Veränderung des Alltags an – an der Gestaltung von Wohnungen, Kindertagesstätten, der Versorgung der Bevölkerung: Wie sollen wir lieben, Kinder erziehen, abwaschen und wohnen?
Im Workshop diskutieren wir Kollontais Vorschläge und betten sie ideengeschichtlich in die Debatten feministischer Kämpfe und die Politiken des real existierenden Sozialismus ein. Woran und wie scheiterten sie? Wie blicken wir heute auf das ambivalente Erbe? Welche Anknüpfungspunkte bieten diese Entwürfe für eine intersektional informierte materialistisch-feministische Politik des 21. Jahrhunderts?
Alexandra Kollontai (1872 – 1952) was a socialist women’s activist who had radical ideas about the intersections of socialism and women’s emancipation. Born into aristocratic privilege, the Russian Kollontai was initially a member of the Mensheviks before she joined Lenin and the Bolsheviks and became an important revolutionary figure during the 1917 October Revolution. Kollontai was a socialist theorist of women’s emancipation and a strident proponent of sexual relations freed from all economic considerations.
After the October Revolution, Kollontai became the Commissar of Social Welfare and helped to found the Zhenotdel (the women’s section of the Communist Party). She oversaw a wide variety of legal reforms and public policies to help liberate working women and to create the basis of a new socialist sexual morality. But Russians were not ready for her vision of emancipation, and she was sent away to Norway to serve as the first Russian female ambassador (and only the third female ambassador in the world).
This Lecture reviews the life and work of Alexandra Kollontai, providing an introduction for her unique theories to decouple romantic attachment from social reproduction by radically expanding the role of the state and encouraging the development of “comradely-love.”
The family office was until recently a marginal organizational form in American capitalism, long since made redundant, it was assumed, by the modern “democratic” structures of the public corporation and the divided responsibilities of managerial capitalism. Business historians such as Alfred Chandler routinely dismissed the familial form of business management as an archaism and impediment to industrial progress — better served, it was thought, by the separation of powers and distributed ownership of the publicly traded corporation.
Max Weber, for his part, thought that the classic form of patrimonial power had been displaced (though perhaps not definitively) by the rise of modern bureaucratic forms of authority. These theorists could hardly have anticipated the multiple challenges that would confront the public corporation in the late twentieth century, much less the resurgence of an organizational form — the privately-held family enterprise — which they considered a relic of the past.
This last lecture of your series focuses on the spectacular rise of the “single family office,” an entity that now competes with the private equity firm in scale and disruptive impact. It explores the thesis that we are currently witnessing a struggle between managerial capitalism, embodied in the publicly traded corporation, and a resurgent form of private, unincorporated, and increasingly dynastic capitalism.
The symbiotic relationship between dynasts such as the Trumps, Mercers, and DeVoses, on the one hand, and small family businesses on the other shed considerable light on the dynamics of today’s far-right. In particular, it helps explain the convergence between a particular style of economic organization, one focused on asset price appreciation and capital gains, and a far-right politics of the family — in which nativism, natalism, and hostility to gender non-conformity all play a central role.
Als sich der katastrophale Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan abzeichnete, schien die politische Raison schnell klar: 2015 dürfe sich nicht wiederholen. Gemeint war damit nicht nur der Zuzug von Schutzsuchenden, sondern insbesondere die ‚Infiltration‘ westlicher Gesellschaften durch ‚äußere Feinde‘ – ‚dschihadistische Kämpfer‘, die sich auf den Weg nach Deutschland machen könnten. Dabei weisen viele der hierzulande verübten Anschläge auf die zentrale Bedeutung in Deutschland stattfindender Prozesse hin, die sich im konkreten gesellschaftlichen Setting der Bundesrepublik vollziehen.
In den vorherrschenden Deutungsmustern derartiger Phänomene wird auffällig viel von Religion und Theologie, Kultur und Identität gesprochen, wenig aber von sozialen und geografischen Räumen, konkreten Lebenswelten und den tatsächlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Der Dschihadismus erscheint somit als ‚extreme Gegenkultur‘, die der liberalen Demokratie als Anti-These äußerlich gegenübergestellt wird. Doch kann diese einfache Frontstellung zwischen ‚radikaler Bewegung‘ und ‚gesellschaftlicher Ordnung‘ die soziokulturelle, gesellschaftliche und politische Verortung der dschihadistischen Subkulturen angemessen greifen?
Um die Genese dieser Bewegungen, die sich selbst in eine spezifische Beziehung zu den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen setzen, genauer in den Blick zu nehmen, möchten wir mit Meltem Kulaçatan und Felix Roßmeißl die Frage erörtern, was in Deutschland lebende junge Männer und Frauen in den Dschihadismus führt und welche Rolle hierbei Dynamiken sozialer Segregation und unterschiedliche Formen struktureller Exklusion spielen.
Meltem Kulaçatan arbeitet zu religiösen Selbstentwürfen junger Musliminnen in pädagogischen Handlungsfeldern und hat unter anderem zu Geschlechterdiskursen in der türkisch-deutschen Presse in Europa sowie zu Ursachen und Gegenstrategien islamistischer Radikalisierung im Rhein-Main-Gebiet publiziert.
Felix Roßmeißl beschäftigt sich mit den Wegen, die junge Männer in den Dschihadismus führen und hat unter anderem zu Facetten kritisch-reflexiver Wissensproduktion sowie zur Kritik gängiger Erklärungsmuster des westlichen Dschihadismus publiziert.
Seit einem Jahr die Gilets Jaunes in Frankreich, die aktuellen Ereignisse im Libanon und in Chile auf der einen Seite. Die kürzliche deutschsprachige Veröffentlichung eines Buchs, das vor 25 Jahren in Frankreich unter dem Titel _Anthropologie du nom_erschienen ist, auf der anderen – lässt sich das eine im Lichte des anderen betrachten?
Anfang der 1990er Jahre legte das Buch ein erstes Resümee einer spezifischen politischen Erfahrung des Frankreichs der 1970er und 1980er Jahre vor: diese mündet in der Formulierung einer Untersuchungsform die von der einfach anmutenden Aussage ausgeht, dass die Leute denken.
Unter Hinzunahme der Hypothese, dass es eine Politik gibt, die sich im Element dieses Denkens entfaltet, lässt sich eine methodisch informierte Perspektive auf die damals aktuelle wie die vergangenen Politiken einnehmen. Aufgrund der Tatsache, dass man es dabei mit einem Denken der Politik zu tun hat, gilt es, die Aussagen der politischen Akteure für sich selbst genommen, d.h. in ihrer Buchstäblichkeit, zu betrachten. Worin besteht die Aktualität dieses Ansatzes angesichts der aktuellen politischen Situation? Darüber möchten wir gemeinsam mit dem Autor, Sylvain Lazarus, dem Philosophen Frank Ruda und Euch bzw. Ihnen diskutieren.
Um in die Diskussion dieser Frage einzuleiten, werden die beiden Übersetzer der deutschsprachigen Ausgabe, Clément Dréano und Moritz Herrmann, über die Arbeit an der Übersetzung und einige Grundzüge des Buchs sprechen. Dabei werden sie insbesondere auf Lazarus‘ Vorgehensweise und dessen grundlegenden Aussagen eingehen:
_Die Leute_denken _und _Das Denken ist Verhältnis des Realen_. Wie tritt die mögliche Untersuchung der Politik zu diesen zwei Aussagen hinzu bzw. welche politischen Überlegungen liegen seinerseits der Formulierung dieser zwei Aussagen zugrunde?
In unmittelbarem Bezug auf die mögliche Aktualität des Buchs wird daraufhin der Autor, Sylvain Lazarus, selbst das Wort ergreifen. Das Erscheinen der _Gilets Jaunes _jährt sich in diesem Monat und prägt weiterhin die politische Situation in Frankreich. In enger Begleitung ihrer Politik konfrontiert er sich und seine Vorgehensweise mit dem, was dort passiert. Er wird erläutern, wie sich dieses Phänomen aus seiner Perspektive heraus darstellt und inwiefern es ihn wie jeden einzelnen in Frankreich dazu zwingt, seine oder ihre Begrifflichkeiten zu überdenken. Kurz gesagt ist die Frage: Was ist die Neuheit der _Gilets
Jaunes_ und was ihre Politik, sofern wir von einer sprechen können? Ausgehend von welchen Worten oder Namen müssen wir diese Frage stellen? In einem abschließenden Vortrag wird Frank Ruda dem Verhältnis von Politik und Philosophie nachgehen. Inwiefern lässt sich die Politik in ihren singulären Manifestationen philosophisch erfassen und welche mitunter unterschiedlichen Perspektiven ergeben sich dabei auf die Politik selbst? Wie ist genauer das zu begreifen, was Lazarus die _Sättigungsmethode _nennt, d.h. eine spezifische Bezugnahme eines Denkens auf ein anderes, einer Politik auf eine andere? Inwiefern ist es politisch, philosophisch und intellektuell relevant, auf eine solch immanente Weise vorzugehen?
Im Anschluss daran wird es Raum für eine Diskussion geben. Der Vortrag von Sylvain Lazarus wird alternierend in französischer und deutscher Sprache, der von Frank Ruda auf Englisch gehalten. Bei der Diskussion wird eine Übersetzung gestellt.
Den Link zur deutschen Übersetzung findet ihr hier.
SYLVAINLAZARUS
PHILOSOPHIE, POLITIK&SUBJEKTIVITÄTHEUTE
INSTITUTFÜRSOZIALFORSCHUNG, SITZUNGSRAUM I (PARTERRE)
29. NOVEMBER 2019: 18.15 – 21.45 UHR
ZEITPLAN
18.15 – 18.45 CLÉMENTDRÉANO&MORITZHERRMANN:
Einleitende Worte zur Veranstaltung und zur Übersetzung
18.45 – 19.30 SYLVAINLAZARUS:
_L’Anthropologie du nom peut-elle mettre un Gilet Jaune? _/ _Kann die Anthropologie des Namens eine Gelbweste tragen?_ (Vortrag in französischer und deutscher Sprache)
19.30 – 20.15 FRANKRUDA:
_Philosophy – Politics. An Odd Couple _(Vortrag in englischer Sprache)
20.15 – 20.30 Pause
20.30 – 21.45 DISKUSSION
Wir freuen uns über Euer/Ihr Kommen!
Eine Veranstaltung organisiert von Clément Dréano, Jan Weise und Moritz Herrmann – mit freundlicher Unterstützung des Forum Kritischer Wissenschaften
//back to the future – Zur Aktualität eines materialistischen Feminismus//
Der Kampf gegen den „Genderismus“ vereint die extreme Rechte und findet Anklang bis hin zu FAZ und Spiegel. Bereits die konservative Revolution der 1920er Jahre propagierte den Kampf gegen als „verjudet“ interpretierte Transformationsprozesse der Geschlechterordnung. Im Nationalsozialismus wurde dann unter dem Vorzeichen der Volksgemeinschaft eine „neue Synthese“ der Geschlechter verhießen, die frei sei von den zersetzenden Einflüssen der Frauenemanzipation, aber auch von „Lüsternheit“ und allem Künstlichem. Heute richtet sich die Stoßrichtung gegen staatliche Gleichstellungspolitik, liberalen Sexualkundeunterricht, feministische Kritik und jede Denaturalisierung des Geschlechtlichen. Verschwörungstheoretisch wird eine „Gender-Lobby“ als dahinter treibende dunkle Kraft vermutet, welche die Deutschen umerziehen will – und wieder finden sich (strukturell) antisemitische Assoziationen. Scheinbar paradox wird gleichzeitig oftmals die Ablehnung von „Frauenunterdrückung“ und Judenfeindschaft demonstrativ betont. Man stehe hier als gute Deutsche oder guter Deutscher ganz im Gegensatz zu „den Moslems“ und „NAFRIs“. Wie ist dieses ideologische Syndrom sozialpsychologisch zu interpretieren? Was macht seine affektive Attraktivität aus?
Sebastian Winter ist Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Leibniz Universität Hannover und Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Geschlechter- und Sexualitätsgeschichte der völkischen Bewegung, des Nationalsozialismus und der postnationalsozialistischen Gesellschaften, Antisemitismusforschung, Geschlechtertheoretische Sozialisationstheorie sowie Psychoanalytische Sozialpsychologie.
Dem Zeitbegriff scheint keineswegs eine herausragende Bedeutung in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie zuzukommen. So entwickelt Marx im Kapital keinen allgemeinen Begriff der Zeit, sondern die spezifische Zeitlichkeit, in der das Kapital in den verschiedenen Sphären prozessiert, erweist sich vielmehr nur als Moment in der konkreten Analyse der jeweiligen Produktionsprozesse und Zirkulationsakte in ihrem Zusammenhang. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund die spezifische Zeitlichkeit des modernen Kapitalismus genauer verstehen? Wird sie von Zeitdiagnosen der Kritischen Theorie richtig bestimmt, wenn Georg Lukács und Walter Benjamin die Zeit des Kapitalismus als eine gleichförmig-homogene, abstrakte und leere Zeit rekonstruieren? Und wie verhalten sich diese Bestimmungen zu dem marxistischen Gedanken, wonach kulturelle und politische Phänomene mit der ökonomischen Grundstruktur vereinbar sein müssen, um nicht zu verschwinden? Das Verständnis davon, was wir ›Zeit‹ nennen, hat sich über die Jahrhunderte ebenso gewandelt wie ihre gesellschaftliche Funktion und die Weise, in der wir sie erfahren. Inwieweit kann die Marxsche Ökonomiekritik dazu beitragen, die Zeit im Kapitalismus genauer zu verstehen?
Programm
Freitag, 10. Mai 2019
10:00 – 10:30 Eröffnung
10:30 – 12:30 Seminarphase I
*** Mittagessen ***
13:30 – 15:00 Panel I:
Paula Rauhala (Tampere): Labor theory of value and the problem of the measurement of labor time
Nadja Rakowitz &NN von der Marx Brigade (Frankfurt): ›Zeit‹ in der frühen Schrift von Marx über Epikur und Demokrit
*** Kaffeepause ***
15:30 – 17:00 Panel II: Jan Völker (Berlin): Geschichte der Scheinzeit
17:30 – 19:00 Keynote I: A. Kiarina Kordela (Saint Paul, MN): Marx’s Times: a Materialist Theory of Temporality Response: Paula Rauhala
Im Anschluss: Empfang (Festsaal)
20:30 Auftritt des Akademischen Arbeiterliederchors (Festsaal)
Samstag, 11. Mai 2019
10:30 – 12:30 Seminarphase II
*** Mittagessen ***
13:30 – 15:00 Panel III: Frank Engster (Berlin): Geld, Maß und Zeit
*** Kaffeepause ***
15:30 – 17:00 Panel IV: Nadja Rakowitz (Frankfurt): Kreislauf, Bewegung und Verknöcherung. Bedeutung der Zeit im Bd. 2 der Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx
Die Vorträge und Keynotes finden im Festsaal, die Lektüreseminare in den Räumen K 2 und K 4 des Studierendenhauses auf dem Campus Bockenheim statt.
Die Utopie der Bildung versprach einst, daß der Mensch durch seinen Aufstieg zur Gottesebenbildlichkeit sich selbst und seine Welt durch Vernunft zu bilden vermöchte: einem Bildhauer gleich. Bildung ist: höchste theoretische Einsicht in die Welt als Ganze, praktische Verwirklichung des Menschen als Menschen, der Gesellschaft als eines vernünftigen „Vereins freier Menschen“ – so daß der Mensch sich seiner selbst und seiner Verhältnisse bewußt ist. Als Prozeß ist Bildung: Welt- und Selbstaufklärung durch das „Ändern der Umstände“ und „Selbstveränderung“ ineins (Marx). Diese Idee wurde geboren in der Antike, radikalisiert in der Renaissance, leitende Utopie in der Epoche der liberalen Aufklärung – um am Ende des 19. Jahrhunderts in der Ausbildung von Menschen zu Maschinenmenschen in einer irrational-rationalen Maschinengesellschaft unterzugehen. Die neueste Gestalt der Negation jener Vernunft-Utopie durch den gesellschaftlichen Fetischismus ist der zur Globalisierung verallgemeinerte Neoliberalismus: die neoliberale Wissensgesellschaft. Die Produktionsstätte des gesellschaftlich analphabetischen Wissens der Wissensgesellschaft ist die neoliberale Universität. In ihr wird der Wissende an eine darwinistische Wettbewerbsgesellschaft angepaßt, die nur Sieger und Verlierer kennt: „Überleben des Erfolgreichen“ und „Selektion“ (Hayek).
Prof. Dr. Gerhard Stapelfeldt lehrte von 1979 bis 2009 am Institut für Soziologie der Universität Hamburg. Seitdem arbeitet er als freier Schriftsteller in Hamburg.
Weitere Informationen gibt es bei Facebook sowie einen Audio-Mitschnitt zum nachhören bei Soundcloud.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Referat für Politische Bildung (PolBil) des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Goethe-Universität Frankfurt mit freundlicher Unterstützung des Forum Kritischer Wissenschaften.